Next Gen Interview: Als Nachfolger auf eigenen Füßen stehen

Sie stammen aus einer Familie mit einem nicht unbedeutenden Familienunternehmen, nahmen aber Ihren eigenen Weg. Wie kam es dazu?

JU­LI­AN MAR­QUARDT-BA­LA­DU­RA­GE: Die Nach­fol­ge war für mich am Ende der Schul­zeit, zum Abi, wäh­rend des Stu­di­ums und wäh­rend mei­ner Aus­lands­auf­ent­hal­te gar kei­ne Op­ti­on. Ich wäre zwar vom Al­ter her am dich­tes­ten an der Nach­fol­ge dran ge­we­sen, weil ich der Ältes­te aus mei­ner Ge­ne­ra­ti­on bin. Aber in­halt­lich bin ich ei­nen an­de­ren Weg ge­gan­gen – ich habe nichts Tech­ni­sches stu­diert, wie es un­ser Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men viel­leicht er­for­dert hät­te, son­dern Fi­nan­ce und Busi­ness. In mei­ner be­ruf­li­chen Pra­xis hat­te ich Sta­tio­nen bei der Deut­schen Bank und bei der Bos­ton Con­sul­ting Group, weil ich in die Be­ra­tung woll­te. In die­ser Zeit wuchs bei mir der Wunsch: Mach dich selbst­stän­dig, geh dei­nen ei­ge­nen Weg!

Ich hat­te nie das Ge­fühl, nicht voll­kom­men frei zu sein in dem, was ich tue.

Und was sagte die Familie dazu?

Es kam über­haupt kein Druck. Die Fa­mi­lie hat oh­ne­hin an­ge­nom­men, dass ich nicht in die Nach­fol­ge ein­stei­ge. Zwar frag­te die Fa­mi­lie hin und wie­der nach, wie es um mei­ne Nei­gung be­stellt sei. Aber das kam aus ehr­li­chem In­ter­es­se, voll­kom­men ohne Hin­ter­ge­dan­ken. Ich hat­te nie das Ge­fühl, nicht voll­kom­men frei zu sein in dem, was ich tue.

Marquardt, das Unternehmen Ihrer Familie, ist ein Automobilzulieferer. Ihre Firma MBJ ist auf einem ganz anderen Markt unterwegs – welches Geschäftsmodell steckt darin?

Als wir im Jahr 2012 mit MBJ an­fin­gen, ha­ben wir Web­sites ge­baut. Aber nicht für Start-ups oder für die Gro­ßen, wie das alle tun – son­dern wir ha­ben uns auf eine ver­nach­läs­sig­te, aber viel wich­ti­ge­re Ziel­grup­pe fo­kus­siert: auf die zahl­lo­sen SME, also Small- und Me­di­um-si­zed En­t­er­pri­ses (übers.: KMU, Anm. d. Red.), um die sich ei­gent­lich kei­ner so recht ge­küm­mert hat, die auch kei­ne ei­ge­ne IT-Ab­tei­lung ha­ben, die das pro­fes­sio­nell um­set­zen kann. Wir ha­ben in Lon­don ge­grün­det, mit Ent­wick­lungs­stand­or­ten in Prag und In­di­en. Heu­te mit 40 Mit­ar­bei­tern …

… Und wo steckt die Fantasie in Ihrem Geschäftsmodell?

Bald nach dem Start merk­ten wir: Eine Web­site bau­en oder eine Platt­form ein­rich­ten ist ein Ein­mal­ge­schäft. Wir ka­men, mach­ten den Job und gin­gen wie­der. Das war für bei­de Sei­ten nicht wirk­lich die bes­te Lö­sung. Die Web­site und all die an­de­ren An­wen­dun­gen sind doch wie ein Gar­ten – sie müs­sen ge­pflegt wer­den, es gibt stän­dig et­was zu tun. Nur: Klei­ne und mitt­le­re Un­ter­neh­men ha­ben nicht die Res­sour­cen da­für. Das ha­ben wir zu un­se­rem heu­ti­gen Ge­schäft ge­macht. Wir nen­nen es WaaS, für: Web­site as a Ser­vice. Der Kun­de be­kommt Auf­bau, Be­trieb, Hos­ting und War­tung der Web­site aus ei­ner Hand, muss nichts in­ves­tie­ren, hat für al­les nur ei­nen An­sprech­part­ner. Da­für rech­nen wir eine mo­nat­li­che Ge­bühr ab, die sehr über­schau­bar ist.

Das scheint gut in die Denkweise von kleinen und mittleren Unternehmen zu passen. Aber wie haben Sie das Geschäft an den Start gebracht? An den Spross aus einem Familienunternehmen sei die Frage erlaubt: Gab es Geld von zu Hause, damit die Sache zum Fliegen kommt?

Nein. Ich habe das be­wusst in zwei Wel­ten ge­trennt. In mei­nem Wir­kungs­kreis bei MBJ bin ich »Ju­li­an«, vie­le Freun­de und Mit­ar­bei­ter wis­sen gar nichts vom Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men im Hin­ter­grund. Ich habe das nie aus­ge­spielt, woll­te nie in die Ecke je­ner Leu­te ge­stellt wer­den, die alle Mit­tel von zu Hau­se ge­stellt be­ka­men und im­mer weich ge­bet­tet ar­bei­ten konn­ten. Ich habe mit mei­nem Part­ner mit selbst be­schaff­tem Geld, vol­lem Ri­si­ko und vol­lem Ein­satz ge­grün­det. Crowd­fun­ding und eine klei­ne Bank­fi­nan­zie­rung sind bis­lang un­se­re Geld­quel­len. Im Rück­blick war es gut, dass ich die­sen Weg ge­nom­men habe – ich schät­ze die Un­ab­hän­gig­keit.

Hatte es einen begünstigenden Einfluss auf Ihren Start, dass Sie aus einer Unternehmerfamilie kommen, färbt da etwas von der Passion Ihrer Vorfahren durch?

Ja, be­stimmt. Mein Va­ter kommt aus Sri Lan­ka, dort war er Un­ter­neh­mer im Ho­tel­ge­schäft. Mei­ne Tan­te, die für un­se­ren Stamm der Zeit die prä­gen­de Rol­le bei Mar­quardt spielt, hat auch ih­ren Bei­trag ge­leis­tet. Ich kann mich an vie­le Ge­sprä­che mit ihr er­in­nern, da er­stand das Bild mei­nes Ur­groß­va­ters vor un­se­ren Au­gen. Es war im­mer wie­der von den cha­rak­te­ris­ti­schen Ei­gen­schaf­ten die Rede, die der Fir­men­grün­der Jo­han­nes Mar­quardt ein­ge­bracht hat: Ge­stal­tungs­wil­len, Freu­de am Ge­lin­gen, Be­harr­lich­keit, Durch­hal­te­ver­mö­gen, sol­che Din­ge. Das hat mich zwei­fel­los ge­prägt, weil ich über die­se Vor­bil­der ge­lernt habe: Es gibt im­mer ei­nen Weg.

Si­cher­lich wer­de ich nicht im ope­ra­ti­ven Ge­schäft, son­dern eher ge­stal­tend auf­sei­ten der Fa­mi­lie in­vol­viert.

Apropos Weg: Werden Sie in den nächsten Jahren in die unternehmerische Verantwortung bei Marquardt gehen?

In un­se­rem Stamm bin ich aus mei­ner Ge­ne­ra­ti­on der­zeit der Ein­zi­ge, der dem Un­ter­neh­men al­ters­mä­ßig und in­halt­lich na­he­steht. Ich ver­ste­he den gro­ben Um­riss und den Rah­men des Ge­schäfts. Si­cher­lich wer­de ich nicht im ope­ra­ti­ven Ge­schäft, son­dern eher ge­stal­tend auf­sei­ten der Fa­mi­lie in­vol­viert.

Was wird dann aus MBJ, Ihrer eigenen Gründung?

Hier wird si­cher mein Wir­kungs­schwer­punkt blei­ben. Das Ge­schäft ist im Auf­wind, wir sind ge­ra­de nach Ber­lin um­ge­zo­gen, jetzt ste­hen Ska­lie­rung und In­ter­na­tio­na­li­sie­rung an. MBJ ist des­halb für mich Prio­ri­tät, die­se wer­de ich klar zu mei­ner po­ten­zi­el­len Mit­wir­kung bei Mar­quardt ab­gren­zen.

Der Weg vieler Nachfolger ins Familienunternehmen geht, im Telegrammstil, so: erst ein Studium, dann drei bis fünf Jahre externe Bewährung in einem anderen Unternehmen der Branche, gefolgt von zwei Jahren Leitung des Auslandsgeschäfts in Südafrika oder Nordamerika im eigenen Haus, dann Einstieg in die Geschäftsleitung. Welche Unterschiede sehen Sie hier zu Ihrem Weg?

Die­ser klas­si­sche Ein­stieg hat im­mer ei­nen recht stren­gen Rah­men. Da geht die Krea­ti­vi­tät nur bis zu ei­nem ge­wis­sen Punkt. Die Frei­hei­ten, die die­ser Weg er­laubt, sind eben­falls be­grenzt, nach oben und un­ten. Es kann nur be­grenz­tes Un­heil pas­sie­ren, der Nach­fol­ger ist im­mer ge­puf­fert, im Zwei­fel wird man als der Sohn oder die Toch­ter ge­se­hen, die mal Pa­pas Nach­fol­ge an­tre­ten wer­den. Es ist im­mer je­mand da, der ei­nem über die Schul­ter guckt. Das zu­min­dest höre ich ge­le­gent­lich von NxG-Kol­le­gen – sie kön­nen nur sel­ten wirk­lich frei sein. Als Grün­der hin­ge­gen hat­te ich jeg­li­chen Spiel­raum, konn­te al­les um­set­zen, was mir in den Sinn kam. Ich hat­te kras­se­re Hochs und kras­se­re Tiefs. Das prägt.

Das In­ter­view wurde geführt für den Un­ter­neh­mer­Brief 03/​2016.

Marquardt GmbH

Mar­quardt ist ein welt­weit füh­ren­der Her­stel­ler von elek­tro­ni­schen Schal­tern für die Au­to­in­dus­trie. Das Un­ter­neh­men (1925 ge­grün­det) mit Sitz in Riet­heim-Weil­heim er­wirt­schaf­tet ei­nen Um­satz von 1 Mrd. EUR und be­schäf­tigt 8.500 Mit­ar­bei­ter. Das Ei­gen­tum tei­len sich zwei ent­fernt mit­ein­an­der ver­wand­te Stäm­me der Fa­mi­lie Mar­quardt, die auf die Co-Grün­der zu­rück­ge­hen. Un­ser Ge­sprächs­part­ner Ju­li­an Mar­quardt-Ba­la­du­ra­ge ist Ur­en­kel ei­nes die­ser Co-Grün­ders von Mar­quardt. Er grün­de­te schon im Stu­di­um sein ei­ge­nes Un­ter­neh­men, den IT-Dienst­leis­ter MBJ, den er bis heu­te als CEO führt.

NextGen: Julian Marquardt-Baladurage, 30 jahre, 4. Generation
Unternehmen: Marquardt Gruppe, 1 Mrd. EUR Umsatz, 8.500 Mitarbeiter
Position: Geschäftsführer des IT-Dienstleisters MBJ
Story: Macht sich unabhängig vom Familienunternehmen einen eigenen Namen im IT-Dienstleistungs-Bereich.