B. Braun geht neue Wege

Der Me­di­zin­tech­ni­ker B. Braun setzt auf mehr Fle­xi­bi­li­tät bei den in­ter­nen Ar­beits­pro­zes­sen. Heinz-­Wal­ter Gro­ße, schei­den­der CEO bei B. Braun, über Un­ter­neh­mens-­steue­rung mit­hil­fe rol­lie­ren­der Fo­re­casts und neue Re­geln der Zu­sam­men­ar­beit. Heinz-Wal­ter Gro­ße im Ge­spräch mit Ul­ri­ke Lüd­ke Herr Prof. Große, durch die Digitalisierung sind die Innovations- und Produktzyklen auf dem Gesundheitsmarkt deutlich schneller geworden. Viele Entwicklungen lassen … Weiterlesen

Der Me­di­zin­tech­ni­ker B. Braun setzt auf mehr Fle­xi­bi­li­tät bei den in­ter­nen Ar­beits­pro­zes­sen. Heinz-­Wal­ter Gro­ße, schei­den­der CEO bei B. Braun, über Un­ter­neh­mens-­steue­rung mit­hil­fe rol­lie­ren­der Fo­re­casts und neue Re­geln der Zu­sam­men­ar­beit.

Heinz-Wal­ter Gro­ße im Ge­spräch mit Ul­ri­ke Lüd­ke


Herr Prof. Große, durch die Digitalisierung sind die Innovations- und Produktzyklen auf dem Gesundheitsmarkt deutlich schneller geworden. Viele Entwicklungen lassen sich kaum vorhersehen. Wie funktioniert die Strategieentwicklung bei B. Braun heute?

HEINZ-WALTER GROSSE: Die Di­gi­ta­li­sie­rung ist kei­ne Re­vo­lu­ti­on, die über Nacht kam, son­dern eine Ent­wick­lung, der wir uns bei B. Braun kon­ti­nu­ier­lich an­pas­sen. Auch wenn heu­te al­les et­was schnel­ler geht als frü­her, las­sen sich die Pro­zes­se gut steu­ern. Wir ha­ben dazu ganz neue Mög­lich­kei­ten so­wohl im Pro­dukt­be­reich als auch bei der Un­ter­neh­mens­steue­rung.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir ha­ben be­reits im Jahr 2006 die her­kömm­li­che Jah­res­bud­get-pla­nung ab­ge­schafft und durch rol­lie­ren­de Fo­re­casts er­setzt. Wir woll­ten uns nicht mehr drei Mo­na­te im Jahr mit der Pla­nung für das Fol­ge­jahr be­schäf­ti­gen, wo wir doch im Sep­tem­ber noch gar nicht wis­sen, wel­che Um­sät­ze wir im nächs­ten Jahr er­war­ten kön-nen. Vor­aus­set­zung für das neue Ver­fah­ren war die EDV-tech­ni­sche Um­stel­lung al­ler B. Braun-Ge­sell­schaf­ten auf SAP. Heu­te sind wir in der Lage, für den B. Braun-Kon­zern am zwei­ten Ar­beits­tag des Fol­ge­mo­nats ei­nen kon­so­li­dier­ten Mo­nats­ab­schluss zu er­stel­len.

Wie funktioniert die Budgetsteuerung konkret?
Zwei Mal jähr­lich wer­den auf Ba­sis der ak­tu­el­len Zah­len in Re­view-Mee­tings die Er­war­tun­gen für das lau­fen­de Ge­schäfts­jahr so­wie am Ende des Jah­res für das kom­men­de Ge­schäfts­jahr be­spro­chen. Wei­chen die Pro­gno­sen von den Er­war­tun­gen ab, schau­en wir, an wel­cher Stel­le die Ge­sell­schaf­ten Un­ter­stüt­zung be­nö­ti­gen. Die­se Steue­rung ist kurz­fris­tig und ba­siert auf tat­säch­li­chen Ent­wick­lun­gen. Auch In­ves­ti­tio­nen las­sen sich so gut steu­ern. Wir wis­sen je­den Mo­nat sehr ge­nau, wo wir ste­hen und wie der Fi­nanz­be­darf für den Rest des Jah­res aus­sieht.

Wie funktioniert die mittel- und langfristige Strategieplanung?
Wir ma­chen zu­sätz­lich ei­nen Fünf­jah­res­plan, bei dem im We­sent-li­chen die Er­geb­nis­se, ba­sie­rend auf un­se­ren Er­war­tun­gen, fort-ge­schrie­ben wer­den. In dem ei­gent­li­chen Stra­te­gie­pro­zess geht es aber eher um die gro­ßen Fra­gen wie bei­spiels­wei­se: Wo­hin wol­len wir uns ent­wi­ckeln? Was wol­len wir ver­än­dern? Zeit­nah wird im­mer wie­der ge­prüft, wo wir mit un­se­ren In­itia­ti­ven ste­hen. Das ist eher ein rol­lie­ren­der Pro­zess, der par­al­lel zum ak­tu­el­len Steue­rungs­pro­zess läuft.

Die Digitalisierung wirkt sich auch auf die Arbeitswelt im Unternehmen aus. Vor Kurzem haben Sie gemeinsam mit Bernadette Tillmanns-Estorf, der Leiterin der Bereiche Unternehmens-kommunikation und International Human Resources bei B. Braun, ein Buch veröffentlicht. Dort propagieren Sie die Sprengung des klassischen Unternehmensorganigramms zugunsten projektorientierter Teams. Sind die herkömmlichen Hierarchiestrukturen überholt?
Die stei­gen­de Kom­ple­xi­tät und Ver­net­zung brin­gen die klas­si­schen Or­ga­ni­sa­ti­ons­for­men un­se­rer Zu­sam­men­ar­beit an ihre Gren­zen. Bis­lang or­ga­ni­sie­ren wir Ar­beit meist in Ab­tei­lun­gen und Zu­stän­dig­kei­ten und bil­den die­se in Käst­chen in ei­nem Or­ga­ni­gramm ab. Wenn Sie sich die Or­ga­ni­gram­me von Un­ter­neh­men an­schau­en, sind die­se sehr stark aus­ein­an­der­ge­zo­gen. Es wer­den im­mer wie­der neue Ab­tei­lun­gen kre­iert, manch­mal mit nur zwei Per­so­nen. Wir wol­len ei­nen un­nö­ti­gen Per­so­nal­auf­bau ver­hin­dern, den wir uns un­ter dem Druck der Märk­te nicht leis­ten kön­nen. Da­her wol­len wir die Ar­beits­be­rei­che fle­xi­bler ge­stal­ten. Wir ver­fol­gen das Ziel, die Ar­beit in­tel­li­gen­ter zu ver­tei­len. Ne­ben Rou­ti­ne­ar­bei­ten gibt es im­mer auch Pro­jekt­ar­beit, bei der die Mit­ar­bei­ter be­reichs­über­grei­fend in Teams zu­sam­men­ar­bei­ten kön­nen.

Für die Mitarbeiter kann es erheb-liche Mehrarbeit bedeuten, wenn diese zusätzlich zu ihrem definierten Aufgabenbereich in Projekten mitarbeiten sollen, oder?
Es geht auf kei­nen Fall dar­um, den Mit­ar­bei­tern mehr Ar­beit zu­zu­mu­ten. Be­vor wir neue Mit­ar­bei­ter ein­stel­len, über­le­gen wir nun erst ein­mal, ob wir die Ar­beit nicht an­ders or­ga­ni­sie­ren kön­nen. Wir schau­en uns die Prio­ri­tä­ten an und ent­schei­den dann, ob es even­tu­ell Tä­tig­kei­ten gibt, auf die wir ver­zich­ten kön­nen. Eine grö­ße­re Fle­xi­bi­li­tät bei der Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on stellt üb­ri­gens auch eine Chan­ce für die Mit­ar­bei­ter dar. Sie ler­nen neue Ar­beits­be­rei­che ken­nen und kön­nen sich be­ruf­lich wei­ter­ent­wi­ckeln. Sie müs­sen nicht dar­auf war­ten, dass die Stel­le des Chefs frei wird oder eine neue Plan­stel­le ge­schaf­fen wird.

Das Or­ga­ni­gramm von B. Braun ist in den ver­gan­ge­nen 40 Jah­ren im We­sent­li­chen gleich­ge­blie­ben, wäh­rend sich das Um­feld, in dem wir ar­bei­ten, kom­plett ver­än­dert hat.

Anfang des Millenniums hat B. Braun ein offenes Bürokonzept eingeführt und feste Arbeitsplätze abgeschafft. Nun wollen Sie die etablierten Strukturen der Zusammenarbeit auflösen. Wie kommt so viel Flexibilität bei den Mitarbeitern an?
Na­tür­lich fällt es nicht al­len Mit­ar­bei­tern leicht, sich in so ei­nem Sys­tem zu­recht­zu­fin­den. Es gibt Men­schen, die möch­ten mor­gens ge­nau wis­sen, wie ihr Ar­beits­tag aus­sieht. Das Buch soll zu­nächst ein­mal dazu an­re­gen, die klas­si­sche Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on zu hin­ter­fra­gen und Bei­spie­le zei­gen, wie wir von dem Käst­chen-den­ken weg­kom­men. Ver­ein­zelt ar­bei­ten wir auch heu­te schon funk­ti­ons­über­grei­fend nach dem An­satz „Agi­les Ar­bei­ten“, der ei­gen­ver­ant­wort­li­che Team­ar­beit in den Mit­tel­punkt stellt. Das Or­ga­ni­gramm von B. Braun ist in den ver­gan­ge­nen 40 Jah­ren je­doch im We­sent­li­chen gleich­ge­blie­ben, wäh­rend sich das Um­feld, in dem wir ar­bei­ten, kom­plett ver­än­dert hat.

Die Auflösung von Hierarchien und Berichtsstrukturen stellt das Mitarbeiter-Chef-Verhältnis auf den Kopf. Wie gehen Sie mit Widerstand aus der Chefetage um?
Wir stel­len das Kon­zept durch ver­schie­dens­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­maß­nah­men, bei­spiels­wei­se Vor­trä­ge und In­for­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen, im gan­zen Un­ter­neh­men vor. Es gibt be­reits sehr vie­le Mit­ar­bei­ter wie auch Füh­rungs­kräf­te, die sich mit gro­ßer Ei­gen­in­itia­ti­ve in die Wei­ter­ent­wick­lung von Tasks & Teams ein­brin­gen. Aber wie bei je­dem Ver­än­de­rungs­pro­jekt gibt es hier „Mo­to­ren“ und Ein­zel­ne, die eher zö­ger­lich sind. Je­doch wer­den auch die­se Füh­rungs­kräf­te in ih­ren Ab­tei­lun­gen von den Mit­ar­bei­tern mit der The­ma­tik kon­fron­tiert und müs­sen sich der Dis­kus­si­on stel­len. Al­lein das ist schon ein Kul­tur­wan­del.

In welchen Bereichen haben Sie die Zusammenarbeit bereits neu organisiert?
In der Un­ter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on und im Be­reich In­ter­na­tio­nal Hu­man Re­sour­ces ha­ben wir be­reits vor zwei Jah­ren be­gon­nen, das Kon­zept in die Pra­xis um­zu­set­zen. In der Fi­nanz­ab­tei­lung und in der Rechts­ab­tei­lung wird es dis­ku­tiert. Spe­zi­ell aus­ge­bil­de­te Coa­ches ge­ben die Er­fah­run­gen aus den Pi­lot­ab­tei­lun­gen an an­de­re Ab­tei­lun­gen und an un­se­re Ge­sell­schaf­ten im Aus­land wei­ter, von de­nen be­reits vie­le In­ter­es­se ge­zeigt ha­ben. Was dort dann über­nom­men wird, kann ganz un­ter­schied­lich sein und hängt auch von den je­wei­li­gen Auf­ga­ben der Mit­ar­bei­ter ab.

Wie lange wird es dauern, bis das heutige Organigramm bei B. Braun der Vergangenheit angehört?
Wir wol­len ei­nen tief­grei­fen­den Kul­tur­wan­del her­bei­füh­ren. Das lässt sich nicht ein­fach von oben her­ab ver­ord­nen. Die Ab­schaf­fung der Bud­get­pla­nung ha­ben wir ein­fach be­schlos­sen und um­ge­setzt. Dies funk­tio­niert bei der Neu­or­ga­ni­sa­ti­on der Zu­sam­men­ar­beit aber nicht. Ich sehe das eher als ei­nen Pro­zess, bei dem wir Über­zeu­gungs­ar­beit leis­ten müs­sen. Ich glau­be je­doch, dass die Dis­kus­sio nen, die ich an den ver­schie­de­nen Stel­len im Un­ter­neh­men er­le­be, ei­nen Wan­del be­reits in Gang ge­setzt ha­ben. In zwei Jah­ren wird die Ar­beit bei B. Braun ganz an­ders or­ga­ni­siert sein als heu­te.

Sie haben diesen Prozess kurz vor Ihrem geplanten Ausscheiden im kommenden Mai angestoßen. Ist das Ihr Vermächtnis an Ihre Nachfolgerin Anna Maria Braun?
Das The­ma dis­ku­tie­re ich mit ein­zel­nen Füh­rungs­kräf­ten be­reits seit drei oder vier Jah­ren. Ich woll­te das schon lan­ge zu Pa­pier brin­gen. Bei Frau Braun er­le­be ich gro­ßes In­ter­es­se. Sie wird das The­ma si­cher­lich wei­ter vor­an­trei­ben.

Das Interview ist erschienen im INTES Un­ter­neh­mer­Brief Ausgabe 01/2019.

stilisierte Darstellung eines Fabrikgebäudes

Über B. Braun Melsungen
Die Wur­zeln des nord­hes­si­schen Her­stel­lers von Me­di­zin­tech­nik- und Phar­ma­pro­duk­ten B. Braun Melsun­gen ge­hen auf das Jahr 1839 zu­rück, in dem Ju­li­us Wil­helm Braun die Ro­sen-Apo­the­ke in Melsun­gen er­wirbt. Sein En­kel Carl Braun be­ginnt An­fang des 20. Jh. mit der in­dus­tri­el­len Her­stel­lung von Me­di­zin­pro­duk­ten. Die fol­gen­den zwei Ge­ne­ra­tio­nen trei­ben die In­ter­na­tio­na­li­sie­rung des Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens vor­an. Heu­te er­wirt­schaf­tet B. Braun Melsun­gen mit 63.000 Mitar-bei­tern in 64 Län­dern 6,8 Mil­li­ar­den Euro (2017). Zum 1. April die­ses Jah­res über­nimmt mit Anna Ma­ria Braun die sechs­te Ge­ne­ra­ti­on das Ru­der. Sie löst Heinz-Wal­ter Gro­ße an der Spit­ze des Kon­zerns ab. Lud­wig Ge­org Braun hat­te ihm vor acht Jah­ren als ers­tem fa­mi­li­en­frem­dem Ma­na­ger die Lei­tung des Kon­zerns über­tra­gen.

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